Mittwoch, 5. Dezember 2012

Morsezeichen: Auslandreisen


Silvia steht an ihrem grossen Wohnzimmerfenster neben der Stehleuchte und macht das Licht an. Und wieder aus. An und wieder aus. Ob ich kurz Zeit hätte, morst sie über den See direkt zu mir herüber. Ich greife zur grossen Taschenlampe, stets einsatzbereit auf dem Sims, und leuchte kräftig von unsrer Stube an der Silberküste zu Herrlibergs Villenhügel. Alles in Ordnung bei euch, will ich wissen, waren wir schon länger nicht mehr auf Empfang. Ja, ja, antwortet Silvia sofort, sie hätte jetzt halt ein gröberes Coaching hinter sich, sie sage bloss ein Wort: Bundespräsident Maurer! Ich meine, das sind doch grad zwei und frage stattdessen nach dem Coaching. Also, beginnt Silvia, ich als Lehrerin a.D. habe natürlich sofort realisiert, dass unser Ueli ein immenses Problem mit fremden Sprachen hat, bei Französisch springt zum Glück Didier Burkhalter ein, dolmetscht und redet für ihn, im Italienischen und Romanischen braucht er momentan ‚orso’ oder ‚urs’ und ‚problem’, das beherrscht Ueli inzwischen recht gut, aber englisch, da geht überhaupt nichts. Daher habe sie ein intensives Englisch-Coaching durchgeführt, fährt Silvia fort. Dann ists dunkel über dem See. Ich drücke auf meine Lampe, englisch kann ich auch nicht, zünde ich, ein paar Lektionen würden mir auch gut tun. Minuten später meldet sich Silvia: Eben ist der Ueli zu mir getreten, machen wir schnell ein Learning by doing miteinander! Wow, schluck ich trocken, mit einem Bundespräsidenten hab ich noch nie, nicht gesprochen, nicht gemorst, geschweige eine English-Lesson abgehalten! Hi Ueli, I’am Irma, leuchte ich leicht errötet. Keine Antwort. Nichts passiert. Da schaltet sich Silvia ein, sorry, mit Irma haben wir keine Übung, meld dich doch als Michelle Obama. Ok, geb ich zurück, hi Ueli, my name is Michelle Obama, how are you? Und kaum hab ichs über den See geschickt, kommts wie aus dem Sturmgewehr geschossen: Hello, I am Ueli from Switzerland and you are so great and black and beautiful! Ich nicke, ja, ja, im Dunkeln kannst du das leicht sagen, fühle mich aber trotzdem ein bisschen Obama-like. Und jetzt, funkt Silvia dazwischen, stell dich bitte als Putin vor. Easy, denk ich, greife rasch nach einer Flasche Wodka im Schrank und warte auf Uelis Botschaft. Hello, I am Ueli from Switzerland and you are so great and strong and beautiful! Ich nicke erneut, nastrowje, das Englisch sitzt ja perfekt, ich fühl mich echt Wladimir! Kurz danach morst Silvia, sie habe den Ueli verabschiedet, er sei nun auf dem Weg nach Bern, das mit dem Englisch bleibe einfach katastrophal. Burkhalter muss zum Französischen ab sofort auch die Auslandreisen übernehmen, auf denen ja eh nur englisch gesprochen wird. Die SVP verspricht im Gegenzug der FDP, Burkhalter einstimmig als nächsten Bundesratspräsidenten zu wählen und Filippo Leutenegger als dessen Vize. Darauf das Licht über Herrlibergs Villenhügel erlöscht. Leutenegger Filippo, überleg ich flüchtig, während ich die Taschenlampe aufs Sims zurückstell, heisst der nicht Lorenzo?

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