Illustration: Marisa Meroni |
Längst ist es dunkel draussen. Die
Lichter flimmern überm Zürichsee. Eines gar besonders stark und zack, wie eine
Kerze stehe ich am Fenster und greife zur Taschenlampe! Silvia, leuchte ich aufgeregt,
natürlich bin ich noch wach! Wie geht es dir denn dort drüben an der Goldküste?
Seit Jahren senden wir uns immer wieder Botschaften zu, mittlerweile, so darf
ichs hier sagen, ist Silvia eine alte Freundin für mich.
Silvia schaut also durch die
riesige Fensterfront in ihrem grossen Wohnzimmer, schaltet die Stehlampe ein,
aus, ein, aus: Ich mache mir Sorgen, Christoph hat sich verändert, ist nicht
mehr der alte. Er hustet viel, schnäuzt sich laut und ungeniert in der Öffentlichkeit,
sein Speichel rinnt manchmal dem Mundwinkel entlang, ohne dass er es merkt. Und
hören tut er nur noch das, was er will. Meinst du, er ist tatsächlich alt
geworden, mein Christoph?
Ich schlucke leer, ui, hat das
Alter tatsächlich den Christoph eingeholt? Ich will was Tröstendes antworten,
vonwegen ich hör doch auch as biz schlecht, darum morse ich lieber mit dir
statt zu telefonieren...
Da blinkts bereits erneut von Herrliberg
herüber: Eben hab ich eine neue Ausgabe von Teleblocher angeschaut, du weisst, Christophs
wöchentliche und wichtige Sendung. Christoph sitzt zusammen mit Matthias
Ackeret im grossen, wunderbar aufgeräumten Salon auf den goldenen Luis-Quinze-Stühlen,
über ihnen unsre Anker- und Hodler-Sammlung, Originale, wohlverstanden. Das ist wirkt alles sehr schön und stimmig, dann aber klopft sich Christoph auf seine
Schenkel und spricht vom Sexskandal in Basels Verkehrsbetrieben! Ha, ha,
Ackeret, tschäggsch, Verkehr und Sex, grölt er laut. Doktor Ackeret hat sofort
das schlüpfrige Terrain verlassen und auf den Markus Somm übergeleitet, ein
hervorragender Chefredaktor, der übrigens Christophs Diktate stets fehlerfrei
niederschreibt und dort in Basel mit unserer BaZ zum Rechten schaut! Apropos, letzte
Woche hat Christoph eine Horde Neonazis, die ein Konzert im Sankt Gallischen gefeiert
haben, gelobt, weil sie das Ganze sauber und anständig über die Bühne gebracht
und die Ortschaft hinterlassen haben, ohne dass jemand zu Schaden gekommen ist.
Rechtschaffene Leute seien das, meint Christoph, nur die Medien verdrehen mal
wieder alles und bringen bloss das zu Papier, was sie wollen. Dass das ähnlich
ist wie mit seinem Gehör, hat mein Christoph natürlich überhört. Blocher
unterstützt die Nazis, haben die Zeitungen geschrieben. Wenn die wüssten, hat
Christoph laut gelacht und kurzerhand die rechten Brüder eingeladen, in unser Kloster
Rheinau einzukehren, um dort zu musizieren. Wo gesungen wird, da lass dich nieder,
hat er gesagt, böse Menschen kenne keine Lieder! Verstehst du, angegraute Glatzköpfe,
die nun von unsrer Stiftung unterstützt werden, um der klassischen Musik zu
frönen? Hallo? Und ich soll mich jetzt etwa nicht sorgen?
Dann wirds finster. Meine Augen
brennen, die Gleitsichtbrille taugt in der Dunkelheit nicht viel. Der Rücken
schmerzt vom langen Stehen am Fenster. Ich will noch kurz etwas zurückleuchten,
doch dann hab ich vergessen, was. Gute Nacht? Vielleicht wars das, man wird
halt auch nicht jünger.
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